Einfach mal was tun oder über die Wahrhaftigkeit des Handelns

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Mein Mann ruft mich zum Abendessen, während ich im Garten Tomatenpflanzen in die Erde bringe. Er ruft einmal. Ich antworte: „Ich komme.“ und pflanze weiter. Er ruft nochmal. „Ich komme.“ Er ruft ein drittes Mal, dieses Mal mit deutlich schärferem Ton. Ich entscheide mich, alles liegen zu lassen und zum Essen zu kommen.

Diese recht alltägliche Szene würde so auf der Bühne vermutlich so nicht stattfinden. Aber sie verdeutlicht die Bedeutung des Tuns – auf der Bühne und im täglichen Leben. Solange ich nur beschreibe, was ich tue, ohne es eigentlich zu tun, ist dies für den Fortgang der Handlung (oder in diesem Fall für meinen Mann) gewissermaßen wertlos. Alle, die diese Szenerie sehen, wissen, dass ich weiterhin pflanze und nicht tatsächlich auf dem Weg zum Essen bin. Meine Glaubwürdigkeit hängt also einhundert Prozent von meinem Tun ab. Tue ich etwas oder tue ich es nicht.

Nur auf der Impro-Bühne versuchen wir, mit dem Beschreiben einer Handlung  das Tun zu ersetzen. „Ich werde dich verlassen.“ oder „Wir werden diesen Schatz finden.“ oder auch „Ich liebe dich wirklich.“ Wir landen in einer Art „Erklärimpro“, in der wir erzählen, was das Publikum eigentlich sehen könnte, wenn wir uns nur dazu aufraffen könnten, die Dinge zu tun.  Ich könnte ärgerlich einen Koffer packen und tatsächlich gehen,  anstatt nur immer wieder zu drohen. Doch warum ist es so schwer, vom Reden ins Tun zu kommen?

Weil es gefährlich ist. Weil Dinge zu tun, anstatt nur über sie zu reden, uns in neue Situationen bringt. Wir wir plötzlich an unserem Erfolg gemessen werden können. Weil Handeln uns verändern wird. Und weil wir dann Kontrolle aufgeben müssen.

Keith Johnstone schreibt in seinem Buch: „Impro for Storytellers“(1) (auf Deutsch: „Theaterspiele“(2)), wie er Improspieler*innen trainiert, Szenen voranzutreiben („Advancing“) und interessanterweise haben all seine Beschreibungen nichts mit Dialogen zu tun, sondern ausschließlich mit Handlungen. Es geht im Wesentlichen darum, diese erst interessanter, also detailreicher, zu machen und dann zu realisieren, wie sich organisch der nächste logische Schritt ergibt. Falls nicht, gilt es, einen Widerstand hinzuzufügen. That’s it. Die Geschichte, die Szene entsteht dann durch Handlungen wie von selbst. Aber das ist noch nicht alles.

In unserer Funktion als Improspieler*innen sind wir neben Autor*innen, Regisseur*innen eben auch Schauspieler*innen. Es liegt nahe, jetzt zu denken: „Wie sollen wir denn das auch noch tun?“ Dabei liegt die Lösung ganz nahe. Sanford Meisner beschreibt das wahrhaftige Tun als Grundlage für das gesamte Schauspiel: (3) „The reality of doing is the foundation of acting.“  Es geht darum,  jemandem wirklich zuzuhören, wirklich eine Nadel in einem Vorhang zu suchen, wirklich ein Kartenhaus zu bauen. Dadurch werden wir zu der Figur, die wir verkörpern, dadurch entstehen wahrhaftige Momente überhaupt. Dadurch werden wir glaubhaft.

Das Handeln hat also nicht nur die wunderbare Eigenschaft, die Geschichte sowieso voranzubringen, sondern bietet auch die Möglichkeit, in der Szene zu landen, die Figur zu werden.

Natürlich müssen wir hier die Schwierigkeit überbrücken, dass viele der improvisierten Szenen mit Pantomime arbeiten. Wir haben also nicht wirklich einen Teig vor uns, den wir in einer Bäckerei-Szene kneten können, wir leeren nicht wirklich ein Aquarium, wir räumen nicht wirklich eine Spülmaschine ein. Aber die Erinnerung daran, wie ich wirklich im Alltag eine Bluse anziehe, die konkrete Entscheidung, dazu in eine enge Jeans zu schlüpfen, wird mir genug zu tun geben, für die nächsten Beats der Szene, wird mich als Figur malen und die Szene voranbringen.

Und weil das Handeln auf der Bühne auf magische Art und Weise so viele Probleme auf einmal löst, lohnt es sich meines Erachtens, unseren Fokus und Energie dort hineinzugeben. Und ab und an einfach mal zum Abendessen zu gehen, anstelle nur zurückzurufen.

Nadine Antler
(Feb 2023)


  • (1) Johnstone, Keith: Impro for Storytellers. Theatresports and The Art of Making Things Happen. (London, 1999) S.248 ff
  • (2) Johnstone, Keith: Theaterspiele. Spontaneität, Improvisation und Theatersport. (Berlin, 1999)2. Auflage, S.248 ff
  • (3) Meisner, Sanford, Longwell, Dennis: Sanford Meisner on Acting. (New York, Toronto, 1987), Kapitel 2, Position 327 von 4809. Kindle-Edition.

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